Woran du erkennst, dass du eine Mutterwunde hast

Mal ganz ehrlich: liebst du deine Mutter?

Bist du dankbar für das Leben, das sie dir geschenkt hat?

Ich konnte diese Fragen lange Zeit nicht ehrlich beantworten. Zu groß waren Schmerz und Scham, mich wie eine schlechte, undankbare Tochterzu fühlen. Ich hatte meine Gründe. Als Empathin und hochsensible Person, empfand ich meine Kindheit oft als sehr anstrengend. Zwei streitsüchtige Eltern, ein Vater, der sich aus der Erziehung ziemlich rauszog und eine Mutter, die sich emotional nicht regulieren konnte. Sie ließ ihren Stress und ihre Frustration oft an uns Kindern aus. Es war komplex bis scheisse, denn ich war unglaublich feinfühlig und hatte keinen geschützten Raum und auch keine Bezugsperson, der ich meine Bedürfnisse, Gefühle oder Sorgen mitteilen konnte.

Im Gegenteil, meine Mutter überschritt meine Grenzen ständig und wenn ich doch mal von Problemen erzählen wollte, hatte ich Angst dafür Ärger zu bekommen. Nichts was ich machte schien richtig zu sein. Ich schien nicht richtig zu sein. Also schwieg ich lieber und lernte Dinge mit mir selbst auszumachen. Ich versuchte ich ständig die Stimmung hoch zu halten, wenn ich spürte, dass die Stimmung wieder kippte. Oder lief wie auf Eierschalen durch die Wohnung.

Meine unbewusste Überlebensstrategie war es, Mama glücklich zu machen und eine gute Tochter zu sein, damit Harmonie herrschte und ich geliebt werde.

Hört sich davon vielleicht etwas bekannt an?


Je älter ich wurde, desto höher wurden die Mauern, die ich um mein Herz aufbaute. Ich hielt vor allem meine Mutter sehr weit weg von mir. Denn das, was ich beobachtete, war für mich kein wünschenswertes Szenario von Erwachsensein. Ich freute mich nicht aufs Frausein, ich wollte niemals heiraten und auch keine Kinder bekommen. Ich hatte einfach kein positives Vorbild dafür.

Bitte versteh mich nicht falsch, es gab durchaus auch schöne Momente in meiner Kindheit. Doch mein Charakter und meine Verhaltensweisen wurden stark geprägt von diesen Traumata in meiner Kindheit.

Ich verkörperte selbst als Erwachsene alle Qualitäten des Hochstapler-Syndroms: Ich wurde zur absoluten People-Pleaserin, wurde Perfektionistin, doch erledigte Aufgaben immer erst auf den letzten Drücker und verglich mich ständigt mit anderen: wieviel besser sie aussahen, wieviel schlauer und erfolgreicher sie waren, you name it...

"Aber Annabelle, du bist so eine tolle Frau.
Es hat dich doch stark gemacht!" 


Ich will ganz ehrlich sein. Immer nur das "Gute" im "Schlechten" zu suchen geht mir in dieser sprituellen Szene manchmal echt auf die Nerven. Es ist mir einfach zu dogmatisch - auch bekannt als spiritual bypassing. Man darf auch anerkennen, wenn etwas scheisse läuft.

Mich hat die Zeit nicht stark gemacht. Mich hat sie einfach zugemacht. Ich war sehr verängstigt und verunsichert. Es hat nicht nur Mauern um mein Herz hochgezogen, es hat mir das Herz gebrochen, dass wir nicht glücklich sein konnten als Familie. Es war wie eine Tragödie, ein krasser Reality Check und ein Beispiel von einem Leben, das ich niemals führen wollte. Nur dass ich selbst mitten drin war. Und nein, der Struggle hat mich nicht zu der tollen Frau gemacht, die ich heute bin, sondern:
 

ICH SELBST HABE MICH ZU DER FRAU GEMACHT,
DIE ICH HEUTE BIN.

Denn ich habe mich auf den Weg gemacht, um die innere Arbeit zu machen. Es war ein langer Weg, um mich als Mensch und als Frau wohl in meiner Haut zu fühlen. Dabei hat mir niemand aus meiner Familie geholfen. Ich hab mir selbst Hilfe gesucht, meine Wunden geheilt, mein Mindset erneuert und versucht diesen Irrsinn zu verstehen. 


Ich schreibe das übrigens nicht, um dein Mitleid zu bekommen und auch nicht, um irgendwen zu beschuldigen. Ich teile heute solch intime Details meiner Kindheit, weil ich weiß, dass so viele Menschen auch heute noch an der Mutterwunde leiden. Jede/r machte andere Erfahrungen, doch im Prinzip sind wir alle Opfer der gleichen Mutterwunde.
 

ANZEICHEN DER MUTTERWUNDE

Die Mutterwunde kann sich in deiner Kindheit auf verschiedenste Weise geäußert haben. Vielleicht hast du schon früh Verantwortung für die Familie übernommen? Vielleicht war deine Mutter absolut kontrollierend und hat keinen deiner Entscheidungen zugestimmt? Vielleicht konnte sie keine Verantwortung für sich selbst übernehmen und du hast ihr Leben geregelt?
 

Die Auswirkungen der Mutterwunde auf unser Leben als Erwachsene sind gravierend. Es kann sein, dass du auch am Hochstapler Syndrom leidest. Vielleicht steckst du in Beziehungen ständig in ko-abhängigen Dynamiken? Vielleicht hast du heute noch ein schlechtes Gewissen oder großen Widerstand deiner Mutter gegenüber? Vielleicht bist du selbst sehr streng und kontrollierend geworden?
 


ich weiß, wie schlimm es sich anfühlt, nicht gut genug zu sein.

Ich trug früher so viel unterdrückte Trauer mit mir herum, weil ich meine Situation als Kind als so hoffnungslos empfand. Ich war Mitte 20, depressivund merkte es garnicht! Ich dachte, "So ist es halt, wenn man erwachsen ist." Doch dabei liegt der wichtigste Schritt auf dem Weg der Heilung der Mutterwunde darin, die Wunde selbst anzuerkennen. Sprich, zuzugeben, dass du ein Problem hast. Das tust du nicht durch Selbstmitleid, sondern durch Selbstmitgefühl:


JA, ES WAR SCHLIMM FÜR MICH UND ES HAT WEH GETAN. 
 

Damit einhergehend darf der Schmerz der Vergangenheit hochkommen, damit du ihn loslässt. Darum ging es im letzten Newsletter. Diese Ausgabe widme ich dem nächsten Schritt: Vergebung. Wir halten so oft an SchmerzErwartungen und Ängsten fest, dass wir unserem Gegenüber und auch uns selbst garnicht die Gelegenheit bieten, sich zu verändern, auch wenn das oft unser größter Wunsch ist! Andere für sein Leid verantwortlich zu machen, tut dir selbst am meisten weh.


ICH WAR GEFANGEN IM OPFERTUM
 

Ich verstand, dass ich in der Rolle des Opfers feststeckte. Ich musste loslassen. Loslassen von Erwartungen, wie meine Kindheit hätte sein sollen, wie meine Mutter zu sein hatte, loslassen von meinem Selbstmitleid, von limitierenden Glaubenssätzen und vor allem von Kontrolle. Ich hatte meine Mutter all die Jahre für meine Emotionen verantwortlich gemacht.


ICH ERKANNTE ERST SPÄT: LEBEN IST, WAS DU DRAUS MACHST
 

Es war nicht meine Schuld, dass ich als Kind emotional missbraucht wurde, aber es ist meine Verantwortung als Erwachsene damit umzugehen. Es geht darum, weiterzugehen trotz der Probleme, die ich dadurch habe und unter ihren Umständen die besten Entscheidungen für mich zu treffen. Ich hatte begriffen, dass ich für mein Leben selbst verantwortlich bin und dass ich es ändern kann. Das war mein Game Changer! Denn da konnte ich sehen, dass ich jetzt auch nicht gerade die "Tochter des Jahres" war. Ich erkannte, wieviel kostbare Zeit ich mit Widerstand und Ablehnung vergeudet hatte. Ich wollte meiner Mutter doch immer nah sein, aber hielt sie stets von mir fern. Ich wollte ihr vergeben, mich entschuldigen für meine Unfähigkeit auf sie zuzugehen.

ENDGEGNER FAMILIE

Wenn dir die Vorstellung von Vergebung jetzt wie Lichtjahre entfernt für dich vorkommt, möchte ich dir sagen: RELAX! Hab Geduld und forciere nichts. Du kannst den Prozess der Heilung nicht beschleunigen. Die Familie mit all ihren Macken zu akzeptieren und auszuhalten ist und bleibt der absolute Endgegner. Das kannst du alle Menschen fragen, die den spirituellen Weg begonnen haben. Selbst nach einem Monat Schweigekloster kannst du noch so im Zen sein, doch wenn du danach deine Eltern besuchst, ist der erste Trigger quasi vorprogrammiert - und das ist ok. Wir brauchen keine Erleuchtung oder Perfektion anstreben. Doch wir dürfen wach durchs Leben laufen - nicht im Autopiloten. Wir dürfen emotionale, menschliche Wesen sein, lernen unsere Bedürfnisse besser wahrzunehmen, lernen gesunde Grenzen zu setzen und das Gegenüber in seinem ganz eigenen Prozess oder Stadium so sein zu lassen.

WIR SIND ALLE OPFER DER MUTTERWUNDE

Ich weiß nicht wie es dir damit geht, aber vor allem Frauen habenhäufiger ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter, weil diese einfach das weibliche Vorbild in der Familie ist. Und wenn du als Individuum ganz eigene Werte und Ideale hast - allein weil du einer anderen Generation angehörst - dann kann es echt schwer sein, seine Mutter zu verstehen oder zu akzeptieren.


Weil ich weiss, dass die meisten Menschen eine Elternfigur hatten, die sie förmlich in die "Meisterschaft" zwangen, möchte ich heute anhand meines eigenen Prozesses eine kleinen Leitfaden dafür teilen, deine Beziehung zu deiner Mutter zu verbessern. Natürlich hat jede von uns eine andere Geschichte, doch die Wunden der inneren Kinder entstammen oft dem gleichen Ursprung. Als ich vor einigen Jahren mal bei einem Seminar der Autorin Byron Katie war, formulierte sie dies ganz passend:
 

"ACH DU SCHRECK, WIR HATTEN ALLE DIE GLEICHE MUTTER!" 

DIE KOLLEKTIVE MUTTERWUNDE HEILEN

Ich merke wie umfangreich dieses Thema ist und ich werde sicherlich noch häufiger darüber berichten, aber heute möchte ich dir einfach ein paar Schritte mitgeben, die mir über die Jahre geholfen haben, mehr in den Frieden zu finden. Im letzten Newsletter ging es vor allem um dich und das Anerkennen deiner Gefühle. Hier geht es nun, um das Anerkennender kollektiven Mutterwunde und die Schritte zur Vergebung.

1. BEWUSSTWERDUNG ÜBER DIE EIGENE ROLLE
Ich hatte bereits 2 Jahre Therapie gemacht, mich der spirituellen Welt zugewandt, meine Mutter sogar einmal direkt konfrontiert und es hat meine Perspektive trotzdem nicht verändert. Ich blieb nach wie vor das Opfer und machte sie für meine Inkompetenzen als 26 jährige Frau verantwortlich. Ich projizierte alles auf sie. Und es gab auch Tage, da hassteich sie. Dafür, dass ich so verkorkst war und sie es nicht besser gemacht hat. Bis ich mir darüber bewusst wurde, dass ich hier eigentlich das Opfer bin und dass ich die Verantwortung für meine Emotionen und mein Leben abgegeben hatte. An einen Dämonen, den es nur noch gab, weil ich ihn durch meine Stories am Leben hielt. Ich wollte doch einfach nur glücklich sein. Das war ein Wendepunkt. Denn ich hatte zwar nicht den Weg vor Augen, aber die innere Bereitschaft mich von der Vergangenheit zu befreien.

2. VERSTÄNDNIS
Wenn ich ganz ehrlich bin, hat meine Mutter mich noch nie so richtig verstanden. Aber konnte ich sie eigentlich verstehen? Wahrscheinlich genauso wenig! Wir sind vom Wesen her einfach total verschieden. Und das ist das, was mich am meisten traurig machte. Wir hatten nicht so richtig die Welle, die Verbindung, die wir teilen konnten. Der Rückblick in meine weibliche Ahnenlinie mit Hilfe einer wunderbaren mexikanischen Schamanin, half mir tatsächlich zu erkennen, dass alle Frauen in unserer Linie traumatisiert waren. Und ich war die erste von ihnen, die genug Abstand zu dem Thema hatte, um daran zu arbeiten. Wenn dir das bekannt vorkommt, bist du wahrscheinlich "die eine Person" in deiner Familie, die sich als Seele diesen "Job" ausgesucht hat. Man könnte es verfluchen, doch mittlerweile, bin ich froh. Denn ich helfe damit nicht nur mir, sondern auch meiner Mutter, allen Ahnen, die vor mir kamen und vor allem auch allen, die noch nach uns kommen werden.

3. MITGEFÜHL
Plötzlich änderte sich meine Perspektive und ich konnte meine Mutter als Frau sehen! Ein Mensch mit Fehlern und Bedürfnissen. Ich stellte mir die Fragen, wie sie sich wohl damals gefühlt hatte, als sie so alt war wie ich? Welche Herausforderungen und Träume sie wohl hatte? Und ob sie glücklich war mit dem Weg, den sie bis heute gegangen war?

Ich konnte neben Verständnis nun auch Mitgefühl aufbringen. Dafür, dass sie es selbst ziemlich schwer hatte. Ich konnte sehen was für eine starke Frau sie war und dass sie für uns Kinder nur das allerbeste wollte. Ich konnte ihren Frust und die Überforderung nachvollziehen. Je mehr ich mich da reinfühlte, desto mehr verstand ich den tobenden, emanzipierten Anteil in ihr, der Gerechtigkeit wollte. Denn wer, wenn nicht all die Mütter dieser Welt, tragen die meiste Last in unserem System? Ich merkte, es wurde langsam eine viel größere Sache und diese Misslage meiner Familie, war "same same but different", die gleiche Tragödie wie in anderen Familien auch. Das war der Moment, in dem ich begriff, was das Patriarchat uns für ein Erbe bereitete: die kollektive Mutterwunde. Ich fühlte für all die Mütter, für all die Frauen, die ihre Leben für dieses kranke System opfern mussten, das sie systematisch unterdrückte.

4. VERGEBUNG
Der wahrscheinlich schwerste, doch wichtigste Schritt ist: Vergebung. Vergebung heisst nicht, das Vergangene zu vergessen als wäre es nie passiert. Es bedeutet, dass ich die Menschlichkeit anerkenne und nicht über die Handlung richte. Es bedeutet, dass ich meiner Mutter im Heute die Chance gebe mir echt zu Begegnung. Ohne Groll und Vorwürfe aus der Vergangenheit. Ohne Angst vor dem, was sie morgen wohl macht. Sondern präsent sein und schauen, was jetzt zwischen uns gelebt werden will. Es ist psychologisch übrigens so, dass Kinder eher die schlechten Momente in Erinnerungen behalten. Daher bring dir gerne auch die guten Erlebnisse mit deiner Mutter in Erinnerung. Überlege, welche Qualitäten du an ihr schätzt und vielleicht auch von ihr übernommen hast. Und damit es dir leichter fällt, habe ich dir zum Thema Vergebung heute wieder ein Worksheet vorbereitet, das du unten zum Herunterladen findest.

5. VERANTWORTUNG ÜBERNEHMEN
Verantwortung übernehmen bedeutet, seinen Teil in der Geschichte zu sehen und sein Mögliches daran zu tun, um etwas zu verändern. Der Autor Mark Manson definierte es sehr treffend: Verantwortung übernehmen heisst, aus Problemen bessere Probleme zu machen und nicht aufhören wollen, sie zu lösen. Verantwortung übernehmen heisst, auf jede Situation zu antworten und nicht mehr passiv wie ein Opfer zuzuschauen. Du holst dir deine Power zurück. Das ist das größte Geschenk an dich selbst. Wenn du eine Situation nicht magst, dann ändere sie. Du hast immer die Wahl und jeden Moment die Gelegenheit dich neu zu entscheiden. Glücklich sein und erfüllt leben ist kein Endergebnis, keine große Ernte am Ende einer Saison. Es passiert in der Aktivität, während du jeden Tag bewusst deine Probleme wählst und sie löst.

WILLST DU AN DIESEM THEMA ARBEITEN?

DANN MELD DICH JETZT AN FÜR DIE MUTTERWUNDE MASTER CLASS!

 

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Es ist Zeit mutig zu sein!